Der Vorwurf, eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung sei rechtsmissbräuchlich, steht schnell im Raum. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, schließlich können Fehler, die niemandem weh tun, wie etwa der nicht-anklickbare OS-Link, schnell Rechtsanwaltskosten im vierstelligen Bereich generieren.
Rechtsmissbräuchliche Abmahnungen erkennen
Allerdings ist es gar nicht so einfach zu beurteilen, ob eine Abmahnung auch tatsächlich rechtsmissbräuchlich ausgesprochen ist. Das Gesetz (§ 8 UWG) definiert eine Abmahnung als unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist. Beispielsweise liegt dann ein Missbrauch vor, wenn die Abmahnung vorwiegend dem Ersatz von Aufwendungen dient. Die Beurteilung ist also schon per Gesetz immer eine Einzelfallentscheidung, die sich an Indizien orientiert. Eine Abmahnung ist daher eher selten „ganz klar rechtsmissbräuchlich“. Um eine Aussage zum Rechtsmissbrauch lohnt sich ein Blick in die Rechtsprechung. Hier wurden Indizien ausgearbeitet, die bei der Beurteilung hilfreich sind.
Vollkommen überzogene Abmahngebühren in Höhe von 95.000 Euro
„Mit Kanonen auf Spatzen schießen“
Eine einzige Werbe-E-Mail hat Abmahnkosten in Höhe von 95.000 Euro ausgelöst. Die etwas übertriebene Reaktion des Empfängers deutet hier klar auf einen Rechtsmissbrauch hin. Doch: Wie kam es so weit?
Werbe-E-Mails dürfen in der Regel nur versendet werden, wenn der Empfänger seine Einwilligung gegeben hat. Bekommt er ungewollt eine E-Mail, so stehen dem Empfänger Unterlassungsansprüche zu, die er im Rahmen einer Abmahnung geltend machen kann. Der Empfänger aus dem vorliegenden Fall bekam eine solche ungewollte Werbe-E-Mail. Thematisch ging es um die Teilnahme an einem Gewinnspiel. Statt nun aber nur den Absender abzumahnen, verschickte er die unliebsamen Schreiben an alle 50 Sponsoren. Dies begründete er damit, dass die Sponsoren ja schließlich mit der rechtswidrigen Versendung der Marketing-E-Mail einverstanden gewesen sein. In jedem Schreiben forderte er den Ersatz der Anwaltsgebühren in Höhe von 1.863,40 Euro. Insgesamt kam so eine Summe von rund 95.000 Euro zusammen.
Total übertrieben, beurteilte das Gericht, welches nicht ganz nachvollziehen konnte, warum die einzelne E-Mail nicht einfach als Spam markiert wurde: „Es ist nicht erklärbar, warum diese einzelne E-Mail für den Beklagten einen Lästigkeitswert hat, der es rechtfertigt, jeden einzelnen der Sponsoren abzumahnen und so auf einen Gesamtstreitwert von 95.000 Euro zu kommen“, heißt es konkret.
Unterm Strich hieß das für den E-Mail-Empfänger: Kein Erfolg, keine Kostenerstattung. In der Theorie müsste sich der beauftragte Anwalt seine Kosten nun bei seinem Mandanten zurück holen.
Wenn der Gegner mit Abmahnungen überrollt wird
„Masse statt Klasse“
Aus ähnlichen Erwägungsgründen scheiterte auch ein Konkurrent in diesem Fall mit seiner Abmahnung: Eine Baumarktkette warb mit wettbewerbswidrigen Aussagen. Der Konkurrent reagierte nicht mit einer Abmahnung, sondern mit über 200 Schreiben. Neben der Hauptzentrale mahnte er nämlich noch alle 203 Filialen ab. Für den Bundesgerichtshof war dies ein ganz klarer Fall von Abmahnmissbrauch, denn: Durch die Abmahnschreiben kamen Anwaltsgebühren in Höhe von über 200.000 Euro zusammen. Der abmahnende Konkurrent generierte im Jahr 2013 aber gerade einmal einen Umsatz von 6.000 Euro.
„Kein kaufmännisch handelnder Unternehmer wird Kostenrisiken in einer für sein Unternehmen existenzbedrohender Höhe durch eine Vielzahl von Abmahnungen eingehen, wenn er an der Unterbindung der beanstandeten Rechtsverstöße kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse hat“, kommentierte das Gericht dieses Verhalten. Da half dem Abmahnenden auch das Argument, dass er zur Deckung der Anwaltskosten einen Kredit aufgenommen hätte, nicht.
Rechtsmissbrauch durch den Ido-Verband
„Wenn du mit dem Finger auf andere Menschen zeigst, zeigen drei Finger auf dich selbst.“
Für Freude dürfte die Einschätzung des Landgericht Heilbronn (Urteil vom 20.12.2019, Aktenzeichen: 21 O 38/19 KfH) zum Ido-Verband gesorgt haben. Der Fall weist in diesem Zusammenhang eine große Besonderheiten auf:
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Der abgemahnte Händler wehrte sich durch dein Einwand der unclean hands. Von unclean hands ist immer dann die Rede, wenn etwas beanstandet wird, was man selbst nicht richtig macht. Dieser Einwand hat allerdings selten Erfolg, denn: Nur weil der andere es auch falsch macht, wird das eigene Verhalten nicht plötzlich rechtskonform. In diesem Fall warf der abgemahnte Händler dem Ido nun vor, seine eigenen Mitglieder weder zu kontrollieren, noch bei Verstößen einzuschreiten. Der Verband bestritt das zwar, konnte das Gegenteil aber nicht beweisen. Unterm Strich folgte das Gericht der Argumentation des Händlers. Ein Verein, der für die Einhaltung von wettbewerbsrechtlichen Gesetzen stehen will, sollte dafür sorgen, dass sich die Mitglieder selbst daran halten.
Fazit: Auf das Detail kommt es an
Händler, die eine Abmahnung erhalten haben, sollten diese nicht einfach so als Missbrauch abtun und schreddern. Auch rechtsmissbräuchliche Abmahnungen dürfen nicht ignoriert werden. Werden sie es doch, verursacht dies unnötige Kosten. Insgesamt sollten abgemahnte Händler Ruhe bewahren und den Sachverhalt durch fachkundige Augen prüfen lassen.
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Über die Autorin
Sandra May schreibt seit September 2018 als juristische Expertin für Onlinehändler-News. Bereits im Studium spezialisierte sie sich auf den Bereich des Wettbewerbs- und Urheberrechts. Nach dem Abschluss ihres Referendariats wagte sie den eher unklassischen Sprung in den Journalismus. Juristische Sachverhalte anschaulich und für Laien verständlich zu erklären, ist genau ihr Ding.